Wir mussten um unsere Weiterbildung kämpfen

Wir mussten um unsere Weiterbildung kämpfen

Heinz Seiberlich, Krankenpfleger, Pflegedienstleiter, Pflegelehrer und –berater von 1969 bis 2013, war einer der ersten Teilnehmer der Fortbildung für Pflegende. Der ehemalige Pflegedienstleiter erinnert sich an die Situation der Pflege in den 1970iger und 1980iger Jahren.

Wo arbeiteten Sie, als die erste Fortbildung für Pflegende stattfand, und in welcher Funktion?

Ich arbeitete als Krankenpfleger am Klinikum Ludwigshafen und bildete mich zum Lehrer für Pflegeberufe weiter. Ich hatte mich durch die Lektüre von Fachzeitschriften, wie die „Die Schwester Der Pfleger“, und vor allem durch den Besuch von Fortbildungen über die aktuellen Entwicklungen in der Pflege auf dem Laufenden gehalten. Ich empfand dies als wichtig, um den Ansprüchen meines Berufs nachzukommen.

Welche Themen haben Sie in Ihrem beruflichen Alltag bewegt?

Die überdurchschnittlich starke Präsenz von Frauen in der Pflege, die damals in den 1970iger Jahren noch stärker vertreten waren als heute, hat mich als Krankenpfleger beschäftigt. Das Ansehen des Berufs war nicht gut und wir wollten gemeinsam mit den Schwestern die Situation verbessern. Ein sehr wichtiges Thema waren die Möglichkeiten zur Weiterbildung. Das war noch eine andere Zeit. Wir als Pflegende hatten das Problem an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen, da wir nicht freigestellt wurden. Das war schon eine andere Welt.

Wie sind Sie auf die Veranstaltung Fortbildung für Pflegende aufmerksam geworden?

Ich bin mir nicht mehr zu hundert Prozent sicher, aber ich denke, dass ich über meinen Beruf und durch die Infusionen der B. Braun Firma von der B. Braun-Stiftung und ihrem Fortbildungsprogramm erfahren habe. Die Firmenprodukte genossen bzw. genießen hohes Ansehen im Krankenhaus und wir haben viel damit gearbeitet. Ich nehme an, dass es da Kontakte zwischen dem Klinikum Ludwigshafen und der Firma B. Braun bestanden hat und wir auf diesem Wege von der Veranstaltung erfahren haben.

Wie kam man sich die Fortbildung damals vorstellen? Sind Sie in einer Gruppe angereist?

Ich bin allein zur Fortbildung für Pflegende angereist. Weiterbildungen von Krankenschwestern und Krankenpflegern hatten damals für die Menschen in leitenden Funktionen keinen großen Stellenwert. Ich hätte ohne weitere Qualifikationen mein Berufsleben gestalten können, aber ich wollte mich fortbilden. In solche Fortbildungsveranstaltung ist eigentlich kaum jemand gegangen, denn die Pflegenden sind nicht dafür freigestellt worden. Hinzu kam noch, dass die Pflegefachkräfte die Fortbildung oft selbst bezahlen mussten. Ich habe immer die Veranstaltung genutzt, die kostenlos waren, und habe das weitergemacht, als ich später in der Krankenpflegeschule tätig war. Da hat die Veranstaltung der „Fortbildung für Pflegende“ viel geholfen.

Man kann also sagen, dass Sie selbst in Ihr Wissen und damit in die Pflege investiert haben?

Ja das ist richtig und das musste ich, weil ich sonst auf dem Wissenstand meiner Abschlussprüfung und der gelesenen Fachartikel geblieben wäre. Das Wissen aus diesen Bereichen wäre für meine Karriere nicht ausreichend gewesen. Ich war deswegen viel unterwegs und habe meine Freizeit und Geld dafür genutzt. Ich musste die Fahrten hin und zurück für mich selbst organisieren und das war manchmal eine Herausforderung.

Können Sie sich an die inhaltliche Entwicklung der Fortbildung für Pflegende erinnern?

Die Fortbildung für Pflegende ist im Laufe der Zeit immer besser, stabiler und informativer geworden, weil man didaktisch mehr vermitteln konnte. Es waren nicht mehr nur Vorträge ohne technische Mittel, wie bei anderen Veranstaltungen. Die Referenten nutzen Overheadprojektoren und andere Hilfsmittel. Mich persönlich hat der Inhalt mehr interessiert als die Vortragenden und ich konnte von jeder Veranstaltung etwas mitnehmen. Ich habe danach die Inhalte noch mal für mich aufbereitet und überlegt was kann ich davon für mein Berufsleben nehmen.
 

Für Sie hat sich der regelmäßige Besuch gelohnt?

Alles hat sich gelohnt. Egal wie. Natürlich gab es mal stärkere und mal schwächere Veranstaltungen bei der Fortbildung für Pflegende, aber für mich waren alle Mühe für dieses Wissen wert.

Sie mussten sich als Krankenpfleger selbst zielstrebig um ihre Fortbildung kümmern?

In der Pflege musste man um eine Weiterbildung kämpfen. Das war so.

Was ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Die Besucher sind meist mit guten Vorsätzen zurück nach Hause gegangen, konnten dann aber nicht viel umsetzen. Das hat sich später geändert. Die Teilnehmer an der Fortbildung für Pflegende haben demonstriert bekommen, wie sie das Erlernte am besten umsetzen.

Haben die Ärzte in der Veranstaltung den Pflegenden gezeigt, wie es geht?

Das war der Fall. Erst als Pflegende zu Lehrern an Krankenpflegeschulen der Krankenpflegerischen Ausbildung wurden und dann in das Programm als Referenten mit in das Programm eingebunden worden sind, begann sich dies zu ändern. Diese Entwicklung hat der DBfK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V.) begrüßt und mitgetragen. Ebenso haben wir uns für anschließende Frage- und Diskussionsrunden nach einem Vortrag zu führen eingesetzt.

Musste sich die Gleichrangigkeit zwischen Pflegenden und Ärzten bei den Vorträgen erst entwickeln?

Die Berufspolitik der Zeit war ein vollkommen andere. Die Pflegenden haben ja gedient könnte man sagen, aber nicht für den Beruf, sondern dem Chefarzt. Es gab in dieser Arbeitsbeziehung eine Abhängigkeit und ich habe mich als Pfleger zwar nicht dagegen gewehrt, aber ich habe es ebenso wenig als unumstößlich hingenommen. Mit dieser Einstellung habe ich mir nicht nur Freunde gemacht. Ich habe meine Überzeugungen verfolgt.

Wann sind diese Veränderungen spürbar geworden?

Die ersten Veränderungen begannen in den Jahren 1977 oder 1978. Ich denke es hängt mit den speziellen Ausbildungen zur Pflegedienstleitung zusammen, dass sich die Anforderungen und das Bild der Pflege langsam verändert haben. Früher kam mit den Diakonissinnen die Leitung der Pflegedienste oft aus dem Bereich der Theologie. Später wurde, nach meiner Meinung zurecht, eine spezielle Ausbildung für die Position verlangt.

Das bedeutet der Pflegeberuf wurde in diesen Jahren wesentlich professionalisiert?

Der Beruf hat sich in dieser Zeit durch Fortbildungsveranstaltung und speziellere Anforderungen an Lehrer und Auszubildende professionalisiert. In meiner Ausbildungszeit gab es eine einzige Krankenpflegerin, die die Ausbildung geleitet hat und sonst gab es begleitende Chefärzte, die dann größten Teils den Unterricht gehalten haben. Das änderte sich.

Damit wurde doch gleichfalls der Weg für die Akademisierung der Pflege vorbereitet oder?

In der Tat wurde der Weg dazu vorbereitet. Ich war immer ein Mitkämpfer für die Akademisierung der Pflege. Wir, also meine Kollegen und ich, haben diese Entwicklung eingefordert. Es musste sich in der Pflege etwas verändern und dazu brauchte es ein Umdenken in den ausbildenden Pflegeinstitutionen. Sonst hätte es keine Anerkennung für den Pflegeberuf gegebenen. Das war ein wichtiger Weg für mich selbst, aber viel mehr noch für die Pflege. Ich habe die Entwicklung in diese Richtung unterstützt.

Ich denke, wir können hier von keinem abgeschlossenen Prozess sprechen?

Das ist richtig. Ich denke, die unwidersprochene Anerkennung der Akademisierung der Pflege in Deutschland wird noch etwas dauern. Allerdings bin ich zuversichtlich und denke an die allgemeine Anerkennung des studierten Pflegepersonals in England in den 1970iger Jahren. Das ist heute dort kein Thema mehr.

Kann man sagen, dass die Fortbildung für Pflegende dem Pflegepersonal bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung geholfen hat?

Ja auf jeden Fall, weil man auf solchen Veranstaltungen Dinge beigebracht und gezeigt bekommen hat, die man sonst sich wohl kaum allein durch das Lesen von Fachartikeln hätte aneignen können. Wir erfuhren, wie und für was man sich in seinem Beruf einsetzen kann. Ich war berufspolitisch aktiv und solche Veranstaltungen haben unseren Forderungen geholfen, auch weil sie eine Wertschätzung für die geleistete Arbeit der Pflegenden vermittelt haben.

Was müsste aus Ihrer Sicht für Pflege heute getan werden?

Die Pflege muss sich selbst mehr politisieren und sich mehr einbringen. Nur im alten Saft braten bringt gar nichts. Die Pflegenden müssen mit den Entscheidungsträgern reden. Das ist natürlich ein Problem, da der Beruf körperlich anstrengend und sehr fordernd ist, und sich deshalb nur wenige neben ihrer Arbeit engagieren und die Freiräume dafür fehlen. Das ist nachvollziehbar, aber so wird nichts passieren. Wir sollten uns vom Bild des Pflegenden als dienenden und abhängigen Beruf lösen.

Werdegang
Heinz Seiberlich ist am achten Juni 1948 in Waldbronn im Schwarzwald geboren. Sein Interesse an der Krankenpflege begann in jungen Jahren während der Schulzeit. Er war schon im Jugendrotkreuz engagiert und lernte dort durch Übungen von Einsätzen das Berufsfeld Pflege näher kennen. Nach dem Umzug nach Ludwigshafen besuchte Herr Seiberlich ab dem Jahr 1965 die Vorschule für Krankenpflege. Im Jahr 1966 begann er seine Ausbildung an der Krankenpflegeschule in den Städt. Krankenanstalten Ludwigshafen. In 1969 ging Herr Seiberlich für zwei Jahre als Entwicklungshelfer nach Togo. Nach der Rückkehr arbeitete er bis 1978 als Krankenpfleger im Klinikum Ludwigshafen und bildete sich berufsbegleitend im Bereich der Anästhesie und Unfallchirurgie fort. Ab dem Jahr 1977 machte Herr Seiberlich eine zusätzliche Ausbildung zum Lehrer für Pflegeberufe an der Krankenpflegehochschule Agnes Karll (DBfK) in Frankfurt a. M. Bevor er 1997 als Pflegeberater in die AOK Rheinland-Pfalz ging, war er als Pflegedienstleiter in Bad Dürkheim, Schwetzingen und Speyer tätig. 2013 ging er in den Ruhestand. Er ist weiterhin ehrenamtlich aktiv und kümmert sich als Vorsitzender des Fördervereins Junge Pflege Wachkoma e. V., um die Versorgung von Jungen Menschen im Wachkoma. Heinz Seiberlich: „Ich bin zusätzlich noch im Verwaltungsausschuss der ökumenischen Sozialstation ehrenamtlich tätig und halte mich auf den aktuellen Stand der Entwicklungen in der Pflege. Sonst kann man nicht mitreden. Fortbildung ist wichtig.“

Das Interview führte Matthias Kick, PR-Volontär der B. Braun-Stiftung