Die Vision einer besseren Pflege

Die Vision einer besseren Pflege

Pflegeexpertin Monika Streubelt blickt auf die Anfänge der Fortbildung für Pflegende zurück.

Von links: Prof. Dr. Hans-Jörg Melchior (stellv. Ärztlicher Direktor), Monika Streubelt (Oberin Städt. Kliniken Kassel), Detlef Holin (Vorsitzender DBfK, Pflegedirektor Klinikum Offenbach) und Wolfagng Schäfer (Verwaltungsdirektor Städt. Kliniken Kassel)

Sich weiterzubilden, ist für Pflegefachkräfte heutzutage selbstverständlich. Vor vier Jahrzehn-ten war das noch anders. Fortbildungsmöglichkeiten gab es kaum, und Krankenpflege be-schränkte sich auf die durchorganisierte, unpersönliche Versorgung von Patienten. Mit der Fortbildung für Pflegende änderte sich das. Sie vermittelte erstmals pflegespezifisches Fach-wissen im großen Rahmen - und unterstützte so die Entwicklung für eine patientenorientierte Pflege. Eine, die maßgeblich am Entstehen der erfolgreichen Veranstaltungsreihe beteiligt war, ist Monika Streubelt. Im Interview blickt die Pflegeexpertin auf das Jahr 1984 zurück, als die Fortbildung mithilfe der B. Braun-Stiftung ins Leben gerufen wurde.

Frau Streubelt, die Fortbildung für Pflegende fand vor 40 Jahren zum ersten Mal statt. Sie waren an der Entwicklung dieser damals innovativen Veranstaltungsreihe beteiligt. Wie kam es dazu?

In den Achtzigerjahren kam ich als Oberin ans Klinikum Kassel, und schon beim Vorstellungsgespräch hatte mir der damalige stellvertretende Ärztliche Direktor Prof. Dr. Hansjörg Melchior signalisiert, dass er an einer Veränderung der Pflege interessiert sei - weg von der starren Funktionspflege, hin zur patientenorientierten Pflege. Dass ich bereits am Uni-versitätsklinikum Ulm ein Fortbildungsprogramm für Pflegepersonal aufgebaut hatte, war da von Vorteil. Gemeinsam haben wir dann erste große Fortbildungsveranstaltungen in Kassel organisiert - und die Resonanz war überwältigend.

Wie viele Menschen kamen damals?

Zunächst hatten wir eine einzelne Veranstaltung geplant. Es kamen über 1000 Menschen aus ganz Deutschland, weshalb wir schließlich zwei Wiederholungen anboten. Auch Dr. Bernd Braun, Gründer der B.Braun-Stiftung, war regelmäßig vor Ort und überzeugt davon, dass unsere Arbeit richtig und zukunftsweisend ist. Deshalb schlug er bei einem Abendessen vor, die Fortbildung für Pflegende mithilfe der B.Braun-Stiftung als dauerhafte Veranstaltungsreihe zu etablieren. Dafür bin ich ihm noch heute sehr dankbar, denn dank die-ser Unterstützung konnten wir unser Pflegewissen weitertragen. 

Die Pflege verändern: Das war das Ziel, mit dem die Fortbildung vor 40 Jahren startete. Wie war Pflege damals strukturiert?

Patientenbezogene Pflege war vor 40 Jahren in den meisten Krankenhäu-sern ein Fremdwort. Stattdessen war „Funktionspflege“ an der Tagesordnung: Jede Kranken-schwester bekam eine bestimmte pflegerische Aufgabe zugeteilt, die sie dann möglichst effi-zient ausführte. Die eine kam zum Blutdruckmessen, die nächste war für die Verbände zu-ständig und wieder eine andere fürs Betten und Waschen. Wir wollten hingegen eine Pflege, die sich an den Bedürfnissen kranker Menschen orientiert, zu denen in der Regel nicht Kör-perpflege zu nächtlicher Zeit, morgens um 04:00 Uhr gehört. Dem Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf entsprachen ebenso wenig das permanente Kommen und Gehen von Krankenschwes-tern die einzelne Tätigkeiten verrichteten, wie pflegefachlich nicht begründete Rituale, wie Bet-ten machen und Temperatur messen nach dem Mittagessen. Warum ist der Patient im Kran-kenhaus, was wünscht und benötigt er für seine Genesung? Fragen wie diese waren bis dato gar nicht thematisiert worden. Das Klinikum Kassel war damals Vorreiter in der Entwicklung und Realisierung einer patientenorientierten Konzeption. Heute ist patientenzentrierte Pflege zum Glück in Deutschland zumindest in organisatorischer Hinsicht Standard.

Welchen Anteil hat die Fortbildung für Pflegende daran?

Für uns war die Veranstaltung ergänzend zu innerbetrieblichen Maßnahmen eine wichtige Plattform, um Denkanstöße und neues Wissen in der Pflege zu vermitteln. Und die rege Teilnahme zeigte, dass die Bereitschaft der Pflegenden, sich fortzubilden, hoch war. Dementsprechend vielfältig waren auch die Vorträge, die wir anboten. Pflegespezifische The-men wie Wundmanagement, Stomatherapie, Mobilisation nach Herzinfarkt und die Pflege von Patienten mit Neoblase wurden ebenso vorgetragen wie pflegewissenschaftliche und berufs-politische Fragestellungen. Als Referenten konnten wir damals neben medizinischen und pfle-gerischen Experten auch Vertreter des Deutschen Krankenhausinstituts und des Hartmann- Bundes gewinnen. Ich selbst war regelmäßig moderierend tätig und hielt Vorträge zu unter-schiedlichen Themen.
 

Ab 3. von links: Dr. Klaus Zinganell (Ärztlicher Diektor Städt. Kliniken Kassel), Monika Streubelt (Oberin Städt. Kliniken Kassel), Herr Heilwagen (Gesundheitsdezernent Kassel) und Jutta Kalkofen (Oberin 1971-1994 Städt. Kliniken Kassel)

Krankenpflege hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?

Unser Ziel sollte weiterhin eine qualitativ hochwertige, patientenzentrierte Pflege sein. Leider ist es bis heute nur in Ansätzen gelungen, die Rahmenbedingungen für die Pflege im Krankenhaus den Veränderungen durch das DRG-System anzupassen. Die sehr kurzen Verweilzeiten der Patienten mit erheblicher Leistungsverdichtung bedürfen m. E. einer konsequenten pflegerischen Fallführung, wie sie z. B. im Primary Nursing realisiert ist. Einfach ausgedrückt, wir benötigen eine Form, der Pflege, in der eine erfahrene Pflegefachkraft die Verantwortung für die richtige Pflege von der Patientenaufnahme bis zur -entlassung des Pati-enten übernimmt. Diese Pflegefachkraft ist zentrale Ansprechpartnerin für den Patienten und alle am Behandlungs- und Pflegeprozess Beteiligten. Das geht freilich nicht ohne entspre-chende Qualifizierung und Neugestaltung der pflegerischen und betrieblichen Organisation.
Eine blose Aufstockung der Pflegestellen und –gehälter macht die Pflege nicht attraktiver. Es muss auf inhaltlicher und organisatorischer Ebene mehr getan werden.

Die B.Braun-Stiftung veranstaltet nicht nur die Fortbildung für Pflegende, sie un-terstützt medizinischen Fortschritt auf vielfältige Weise. Wie schätzen Sie persönlich das Engagement der Stiftung ein?

Die B.Braun-Stiftung war die erste Stiftung, die sich für eine Verbesserung der Pflege stark gemacht hat. Ohne ihre Unterstützung hätten wir diese fantastische Plattform der Fortbildung für Pflegende wohl niemals etablieren können. Ich habe den allergrößten Res-pekt für die Arbeit, die die Stiftung leistet – sei es mit Fortbildungsveranstaltungen, Mentoring-Programmen oder Stipendien.