„Vom Geldausgeben ist noch keiner reich geworden.“

„Vom Geldausgeben ist noch keiner reich geworden.“

Professor Hansjörg Melchior, Vorstandsmitglied der B. Braun-Stiftung von 1978 bis 2008, hat als wissenschaftlicher Leiter die Fortbildung für Pflegende ins Leben gerufen und mitgestaltet. Den ehemaligen Chefarzt und Kunstsammler aus Kassel verbindet eine lange Geschichte mit der B. Braun-Stiftung und Freundschaft mit der Familie Braun.

Sie gehören zusammen: Der Mann und sein Bild: Professor Melchior vor einem Gemälde von Christoph Gais

Erinnern Sie sich an Ihre erste Begegnung mit der B. Braun-Stiftung?

Das ist an sich eine viel längere Geschichte, als Sie erahnen. Ich war Oberarzt in Aachen und hatte mit Harnleiterersatz experimentiert. Dr. Bernd Braun, der damals mit Collagenprothesen experimentiert hat, kontaktierte mich und lud mich ein. Es kam zum ersten Treffen bei B. Braun in Melsungen. Wir haben über unsere Forschungen geredet. Als ich später zurück nach Kassel kam, um die urologische Klinik aufzubauen, hat es nicht lange gedauert, bis mich Herr Dr. Bernd Braun angesprochen hat: „Junge, wir brauchen einen Medizinexperten für die Stiftung.“ Ich habe zugesagt, damals waren schon Dr. Joachim Schnell und Frau Doris Gottschalch in der Stiftung tätig. Meine Aufgabe war es, den medizinischen Sachverstand in den Vorstand zu bringen.

Sie kannten die Familie Braun schon vorher?

Dr. Bernd Braun und Otto Braun waren schon mit meinen Eltern befreundet. Insofern war es für mich nicht besonders schwierig, in Kontakt mit der Familie Braun zu kommen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass mich Bernd Braun, als ich bereits Mitglied der Stiftung war, oft anrief. „Komm mal schnell rüber.“ meinte er. Wir saßen dann in der Küche im Untergeschoss seines Hauses, wo die ganzen Jagdtrophäen von Bernd Braun hingen, und haben dort den Abend verbracht. (lacht)

Also waren die Vorstandssitzungen auch eher familiäre Treffen?

Damals ja. Wir haben immer im alten Vorstandshaus in der Carl-Braun-Straße im alten Fachwerkgebäude oben im ersten Stock getagt. Wir haben in dieser Zeit gemeinsam auch Produkte entwickelt, z. B. sterile, isotonische Spülsysteme für endoskopische Operationen. Spülwasser muss isotonisch sein, damit es, wenn es in den Blutkreislauf kommt, keine Hämolyse gibt. Das war in den 1970iger Jahren nur wenig bekannt. Wir brauchten in der Urologie eine isotonische Spüllösung, die optisch neutral ist, damit sich keine Schlieren bilden, wenn sie sich mit Urin vermischt. An dieser Thematik forschte Dr. Schnell für uns; das haben wir auf der „Fortbildung für Pflegende“ vorgestellt, denn das OP-Pflege-Personal musste das wissen. Auch, dass man bei endoskopischen Operationen steril abdeckt. Dazu gibt es eine nette Anekdote. Unsere Patienten hatten plötzlich allergische Reaktionen. Es hätte von den Spüllösungen sein können. Joachim Schnell war aber überzeugt von der Entwicklung: „Wenn du willst, setzte ich mich in eine Badewanne mit dieser Lösung. Die ist nicht allergisierend.“ (lacht) Und er hatte recht. Hinterher stellte sich heraus, dass es der Kleber an den neuen Abdecktüchern, mit Benzin abgewaschen, die Allergie verursachte.

Wie kam es zur Veranstaltungsreihe Fortbildung für Pflegende?

Die B. Braun-Stiftung sah es als ihre Aufgabe an, den Pflegenden eine eigene Veranstaltung zu geben. Ich habe die Verantwortung dafür im Vorstand übernommen. Wir haben damals schon berufspolitische Themen integriert und über die Akademisierung der Pflegeberufe diskutiert. In dem Bereich hat die Stiftung übrigens auch viele Stipendien gegeben.

Was würden Sie sagen ist die prägendste Erinnerung, die Sie mit der B. Braun-Stiftung verbindet?

Als erstes kommt mir in den Sinn, dass die Pflege durch die Arbeit der B. Braun-Stiftung ihre erste eigene große Veranstaltung bekommt hat. Sie war eine der ersten Stiftungen, die sich bemüht hat, etwas für die Fort- und Weiterbildung der Pflegeberufe zu tun, und Pflege und Ärzte näher zusammenzubringen. Krankenschwestern und -pfleger konnten sich bis dahin nur mit oder parallel zu Ärztekongressen fort-weiterbilden. Die Fortbildung für Pflegende setzte neue Maßstäbe, da es vorher keine vergleichbaren Kongresse für die Pflegeberufe gab. Von jetzt auf gleich war das eine Veranstaltung mit ungewöhnlich hoher Resonanz, mit einer Anzeigenseite in „Die Schwester Der Pfleger“. Schon zu der ersten Fortbildung kamen bereits die Pflegenden mit Bussen aus Schulen von Bremen bis Frankfurt.

Die erste Veranstaltung fand im Jahr 1978 im Blauen Saal der Stadthalle in Kassel statt und war gleich mit 400 Personen gut gefüllt. Später mussten wir in den Festsaal der Stadthalle umziehen, da wir über 1.000 Anmeldungen hatten. Das war irgendwann sehr kostenintensiv. Bei einer der nachfolgenden Fortbildungen nahm mich Dr. Bernd Braun zur Seite und sagte: „Junge, vom Geldausgeben ist noch keiner reich geworden. Wir müssen das kleiner machen.“ Unter der Regie von Prof. Rummel, Gynäkologe an den damaligen Städtischen Kliniken Kassel, wechselte der Veranstaltungsort von Kassel ins Baunatal. Seit dieser Zeit wurde die Fortbildung für Pflegende im Baunatal veranstaltet. Allerdings war der Bedarf so groß, dass wir 2006 wieder in die Stadthalle gewechselt sind.

In der ersten Veranstaltung waren es noch die Ärzte, die den Pflegenden Wissen vermittelten?

Ja und nein. Es war ein Miteinander. Ich kannte durch meine Arbeit Monika Streubelt, leitende Pflegedirektorin in den damaligen Städtischen Kliniken Kassel, und schätzte sie als pflegerische Fachkraft sehr. Frau Streubelt hat das Programm maßgeblich mitgestaltet. Wir haben immer auf Augenhöhe gearbeitet.

Die Situation im Bereich der Hygiene und Desinfektion in den Kliniken entsprach nicht unseren Standards. Die Chance, sich während eines Krankenhausaufenthaltes mit lebensbedrohlichen Keimen anzustecken, war höher als heute. Sie müssen sich vorstellen: Endoskopischen Operationen im OP wurden oft noch ohne sterile Abdeckung durchgeführt. Auch die Wiederaufbereitung der Instrumentarien war damals noch problematisch. Auch das Wechseln von Straßenschuhen vor dem OP-Bereich war im Stadtkrankenhaus nicht üblich.

Gerade die Hygiene und Desinfektion ist aber für das Pflegepersonal sehr wichtig. Die Grundbegriffe von Hygiene und Sterilität mussten vermittelt werden. Dafür holten wir auch Fachkräfte der Fa. Aesculap. Oder als anderes Thema der Dekubitus. Lange herrschte die Meinung vor, dass ein Ring ausreicht, um den Dekubitus zu vermeiden.

Was ist aus Ihrer Sicht heute für die Pflege am Wichtigsten?

Vernünftige Arbeitszeitenregelungen, Personalbestand und leistungsgerechte Bezahlung. Warum verdient ein Handwerker mehr als eine Pflegekraft?

Was machen Sie in Ihrem Ruhestand?

Die Kunst spielt im Leben meiner Frau und mir eine sehr zentrale Rolle. Wir haben uns immer für die documenta engagiert. Ich war persönlich mit Arnold Bode befreundet und habe mit seinem Sohn Peter Bode zusammen die Schule besucht. Alle Bilder, die Sie hier in meiner Wohnung sehen, sind bis auf zwei Ausnahmen von Künstlern, die wir persönlich gut kennen oder gekannt haben. Etwa von Bernard Schultze, Rainer Fetting, Ansgar Nierhoff oder Christoph Gais. Ich habe es bis heute nicht aufgegeben, zusätzliche Arbeiten zu erwerben. Zum Beispiel, wenn man draußen vor dem Eingang steht, sieht man die Figur des Aaron, der das Goldene Kalb stemmt. Die Skulptur stammt von der Künstlerin Dana Meier aus Leipzig. Ich habe diese Arbeit vor drei Jahren gekauft. Natürlich pflegen wir auch noch unsere Freundschaften zu der Familie Schnell und dem Ehepaar Braun, erst gestern haben wir gemeinsam im Kloster Haydau Geburtstag gefeiert,

Juli 2018, Das Interview führten Andrea Thöne, Pressereferentin, und Matthias Kick, Volontär der B. Braun-Stiftung, Kassel.

Gestalter in Medizin und Kunst

Christoph Gais, Bernhardt Schulze, Ansgar Nierhoff – die Kunstwerke, die in der Villa Melchior zu entdecken sind, repräsentieren die moderne Kunstgeschichte. Kunst ist Leben, Leben ist Kunst in der Villa von Karin und Hansjörg Melchior. Ihr erstes Gemälde kauften sie gemeinsam 1962. Auch unterstützten sie seit 1977 maßgeblich die documenta, die internationale Ausstellung für Zeitgenössische Kunst in Kassel.
Geboren und aufgewachsen in Kassel fühlt sich der ehemalige Chefarzt der urologischen Klinik in Kassel bis heute der Gesellschaft verpflichtet. Er ist Initiator des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“, der unter anderem an den Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker und den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck verliehen wurde.

Professor Melchior, Jahrgang 1937, studierte Medizin in Marburg. 1977 wechselte der Urologe von der RWTH Aachen, wo er als Oberarzt tätig war, nach Kassel. Er baute als erster Chefarzt der Klinik für Urologie der Städtischen Kliniken ein urologisches Kompetenzzentrum mit internationalem Ruf auf. Hansjörg Melchior hat für seine Ideen immer Mitstreiter gesucht und gefunden. So gestaltete er die Entwicklungen in der Urologie für mehr als 30 Jahre mit und gründete unter anderem die Deutsche Kontinenz-Gesellschaft. Als Vorstandsmitglied der B. Braun-Stiftung konnte er 30 Jahre durch Stipendien und Gutachten Themen und Talente fördern. Mit der B. Braun Melsungen AG entwickelte er unter anderem eine Spüllösung für laparoskopische Operationen.

Melchior ist seit 2009 Träger des Verdienstkreuzes 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland, besitzt den Hessischen Verdienstorden und erhielt 2015 die Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.
Die Familie Melchior lebt seit 1977 in einer historischen Kasseler Stadtvilla, die von dem bekannten Baumeister Schmidtmann im 19. Jahrhundert erbaut worden ist. Karin Melchior betreibt dort bis heute eine Galerie für zeitgenössische Kunst mit wechselnden Ausstellungen.

www.galeriemelchior.de