Ende einer Ära: Prof. Norbert Roeder übergibt die Seminarreihe "Expertise in Leadership"
Im Jahr 2011 hat Prof. Dr. Norbert Roeder maßgeblich zur Konzeption der umfassenden Seminarreihe Expertise in Leadership (EIL) beigetragen. Und sie seitdem geleitet. Nun beendet er die aktive Tätigkeit in der Stiftung. In diesem Interview sprechen wir mit Professor Roeder über die Seminarreihe, seine Erfahrungen und seine Prognose für das Gesundheitswesen sowie seine Pläne für die Zukunft.
Sie haben die EIL vor 14 Jahren mit ins Leben gerufen. Nun ist es soweit und Sie reichen den Staffelstab weiter, wie fühlt sich das an?
Es fühlt sich gut an, weil es eine tolle Veranstaltung mit vielen interessanten Menschen und sehr motivierenden Rückmeldung von den Teilnehmenden war. Nun scheide ich wohlüberlegt und zufrieden, aber auch mit etwas Wehmut aus. Ich darf die Organisation und Durchführung der Veranstaltung an jüngere Kolleginnen und Kollegen übergeben. Diese werden ganz sicher auch neue Ideen zur Weiterentwicklung der EIL einbringen. Wir haben die EIL von Kurs zu Kurs kontinuierlich weiterentwickelt und an die Veränderungen im Gesundheitswesen angepasst, während wir das grundsätzliche Format beibehielten. Aber sicher hat die nächste Generation noch ganz neue Ideen.
Was ist das Besondere an der Seminarreihe „Expertise in Leadership“?
Das Besondere an der EIL ist das Veranstaltungsformat, das an fünf bis sechs Wochenenden die Teilnehmenden mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert. Die Teilnehmenden bekommen nicht durchgängig Lerninhalte durch Referenten, sondern nur grundlegende einführende Impulsvorträge zum jeweiligen Themenwochenende. Anschließend erhalten sie an realistischen Krankenhaus-Herausforderungen orientierte Aufgaben, die sie gemeinsam im Team lösen und die Ergebnisse präsentieren müssen. Diese werden diskutiert, so dass die Teams eine direkte Rückmeldung zu ihren Lösungsvorschlägen erhalten. Dieses Format ist das Markenzeichen der EIL.
Diesen Umgang mit dem Real-Life war das der Grund, warum Sie die EIL entwickelt haben?
Ja, und das hat sich bewährt. Das ist der USP der Expertise in Leadership. Veranstaltungen, bei denen Inhalte vermittelt werden, gab es schon immer in ausreichender Zahl. Im Gegensatz dazu sind Formate, bei denen man sich aktiv etwas erarbeiten muss, seltener. Wir lernen am besten, wenn wir die Möglichkeit haben, etwas auszuprobieren. Optimal ist dies kombiniert mit Menschen, die man fragen kann, wenn man nicht weiterkommt. Zurückblickend kann ich sagen, dass die Reihe "Expertise in Leadership" durchgängig sehr erfolgreich war. Es ist der Erfolg des gesamten Teams der Referentinnen und Referenten der Veranstaltungsreihe, speziell meinem Co-Moderator PD Dr. Dominik Franz, mit dem ich über viele Jahre beruflich zusammengearbeitet habe. Dies wurde uns auch immer wieder von den Teilnehmenden bestätigt. Der Mix aus fachlichem Input und der Lösung von konkreten, am Krankenhausalltag orientierten Aufgaben durch die Teilnehmenden in Arbeitsgruppen hat zu einer deutlichen Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten der Teilnehmenden geführt.
Wie hat sich die EIL durch die Jahre hindurch verändert?
Während die Teilnehmenden zu Beginn der "Expertise in Leadership" nur aus Ärztinnen und Ärzten bestanden, kamen schon relativ zügig in den folgenden Jahren Pflegende und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Administration dazu. Heute spiegeln die ca. 30 Teilnehmenden pro Kurs jeweils ein Drittel dieser Berufsgruppen. Diesen Ansatz haben wir bewusst gewählt, weil wir der Meinung sind, dass die Herausforderungen für Krankenhäuser nur interdisziplinär und berufsgruppenübergreifend gelöst werden können. Keine Berufsgruppe wird allein gute und tragfähige Lösungen entwickeln.

Gibt es einen Jahrgang der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Alle Kurse waren gut, auch wenn sich die Teilnehmenden im Laufe der Jahre deutlich verändert haben. Die Teilnehmenden bewerben sich ja aus ganz Deutschland und werden aus der Bewerbergruppe ausgewählt. Sie werden nicht von den Krankenhäusern geschickt, sondern kommen mit großer eigener Motivation. Die aktuelle Generation der Teilnehmenden kommt viel schneller in die teilweise komplexen Themen und die Erarbeitung von Lösungen rein. Ich führe das darauf zurück, dass der kontinuierliche Veränderungsprozess im Laufe der Jahre in vielen Krankenhäusern ein Dauerthema ist und die Mitarbeitenden dafür heute sehr viel stärker sensibilisiert sind. Vor 10 bis 15 Jahren waren die Krankenhäuser noch deutlich unflexibler. Ein Krankenhaus, das es heute nicht schafft, flexibel auf die sich ständig verändernden gesundheitspolitischen und anderen Rahmenbedingungen zu reagieren, hat eine schwierige Zukunftsprognose und wird wahrscheinlich aktuell in ganz besonderen Schwierigkeiten sein. Eine abwartende Haltung nach dem Motto „Es wird schon alles nicht so schlimm kommen“ ist aus meiner Sicht falsch und wird nicht zum Erfolg führen.
Sie haben es schon erwähnt; jede EIL setzt sich heute aus den im Krankenhaus Verantwortung tragenden Berufsgruppen zusammen. Welche Rolle spielt die interprofessionelle Zusammenarbeit im Krankenhaus?
Die Leistungen eines Krankenhauses werden überwiegend interprofessionell erbracht. Teams mit unterschiedlichen Ausbildungen arbeiten eng zusammen, um die bestmögliche Versorgung für Patienten sicherzustellen. Allerdings wird die Medizin auch immer interdisziplinärer. Früher wurden komplexer erkrankte Patienten zur Diagnostik und Therapie zwischen Fachabteilungen verlegt, heute sollten die Spezialisten am Patienten zusammenkommen. Dies ist noch nicht durchgängig umgesetzt, drückt sich aber z. B. in interdisziplinären Tumorkonferenzen und interdisziplinären Herzkonferenzen aus, in denen gemeinsam die beste Therapieentscheidung unter Berücksichtigung seiner individuellen Problematik für einen Patienten oder eine Patientin getroffen wird. Auch die Aufgaben zwischen den Professionen werden in den letzten Jahren zunehmend anders verteilt. Ärztinnen und Ärzte werden z.B. unterstützt und auch entlastet von Operationstechnischen Assistenten oder Physician Assistants.
Das Gesundheitswesen steht vor großen Herausforderungen. Das sehen Sie jeden Tag in Ihrer Beratungstätigkeit. Was wird Ihrer Meinung nach passieren?
Wir stehen meiner Meinung nach vor der größten Veränderung, die wir seit Jahrzehnten im deutschen Gesundheitswesen gesehen haben. Vielen Krankenhäusern werden durch die Krankenhausreform neue Versorgungsrollen zugeordnet. Insbesondere der aus meiner Sicht eskalierende Personalmangel wird die Versorgungsangebote am stärksten beeinflussen. Wir sehen, dass der vertragsärztliche Bereich hierunter ebenso leidet wie die Krankenhäuser. Daher wird es zwangsläufig zu einer weiteren Konzentration von Krankenhausstandorten kommen müssen, aber auch zu einer veränderten Rolle von Krankenhäusern. Diese werden gerade im ländlichen Bereich immer mehr Aufgaben der ambulanten Versorgung im Sinne einer sektorübergreifenden Versorgung übernehmen, die bisher vorwiegend im vertragsärztlichen Bereich verortet waren.
Die größte Herausforderung ist aber, die jungen Generationen für eine nachhaltige Tätigkeit im Gesundheitswesen in allen Berufsgruppen und Disziplinen zu gewinnen und zu begeistern. Nur wenn uns dies gelingt, werden wir alle auch zukünftig einen zeitgerechten Zugang zu einer qualitativen Versorgung erwarten können. Aktuell macht mir die zunehmende Frustration bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen große Sorgen.
Wenn Sie noch ein Krankenhaus leiten würden, was wässt sich tun gegen den allgemeinen Frust?
Wir müssen den Kreislauf durchbrechen. Meistens liegt es daran, dass die Mitarbeitenden zu wenig Information erhalten bzw. negative Informationspolitik betrieben wird. Erfolgreich sind die Krankenhäuser, die viel informieren und Lösungsansätze vorleben. Wenn eine Führungskraft selbst immer sagt, wie schwierig alles ist, wie soll da der einzelne Mitarbeitende motiviert sein? Es geht darum stolz auf seine Arbeit zu sein. Und dabei geht es nicht um die Entlohnung: Studien zeigen, dass mehr Geld meist nicht der Motivator ist.
Was zeichnet Ihrer Meinung nach eine gute Führungskraft im Gesundheitswesen aus?
Ich bin ein Fan der partizipativen Führung in der die Führungskraft nicht alles vorgibt, sondern gemeinsam mit den Mitarbeitenden Problemlösungen entwickelt und dann erste entscheidet. Dazu muss die Führungskraft einerseits über ein umfangreiches Methodenwissen verfügen und andererseits die Fähigkeit besitzen Mitarbeitende zu begeistern und für die Entwicklung von Lösungen zu gewinnen. Die Führungskraft sollte im Sinne eines Teamleaders agieren, um gemeinsam mit ihrem Team bestmögliche Ergebnisse zu produzieren. Führungskräfte, die mit starker Selbstüberzeugung die Hinweise der Mitarbeitenden ignorieren und vorrangig mit starken Vorgaben die Mitarbeitenden führen, sind schlecht beraten. Gerade auch die jüngere Generation von Mitarbeitenden erwartet Partizipation und eine gute Erläuterung der von der Führungskraft vorgegebenen Ziele und vorgeschlagenen Maßnahmen. Wenn Mitarbeitende vom Sinn der Ziele und der – möglichst von Ihnen mitentwickelten - Maßnahmen überzeugt sind, arbeiten sie nach meiner Erfahrung auch sehr engagiert an der Durchführung.
Welche Herausforderungen haben Sie in Ihrer Karriere am meisten geprägt?
Mich hat die Zeit als Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Münster am meisten geprägt. Universitätsmedizin bietet eine Vielfalt von Aufgabenstellungen. Zu strategischen Zukunftsausrichtung im Kontext der Versorgungsangebote zur Steuerung des Medizinbetriebs gehört auch die Bereitstellung der personellen, infrastrukturellen, operativen und infrastrukturellen Ressourcen. Es stellte eine spannende Herausforderung dar, diese Aufgabenkanon gemeinsam mit den anderen Führungskräften und ihren Teams zu bearbeiten und hat mich sehr geprägt.
14 Jahre bedeutet zehn Seminarreihen und 299 Teilnehmende. Was werden Sie am meisten vermissen und wie nutzen Sie die freigewordene Zeit nun?
Die EIL war nur ein Teil meiner Aktivitäten, sodass ich jetzt durch meinen Abschied aus der Reihe nur wenig zusätzliche Zeit zur Verfügung habe. Ich möchte jedoch schrittweise meine beruflichen Aktivitäten runterfahren und mich auch noch anderen Dingen widmen. Aktuell wird gerade mein über 50 Jahre altes Käfer Cabrio neu lackiert und technisch überholt, mit dem wir dann einige Touren planen. Ich bin ja noch in einem gewissen Rahmen beratend für Institutionen im Gesundheitswesen mit aktuell sehr interessanten Projekten tätig.
Und zu guter Letzt: Was wünschen Sie sich zukünftig für die Seminarreihe?
Ich wünsche mir, dass es auch zukünftig gelingt begeisternde Seminare zu gestalten. Das regelmäßig eingeholte Feedback von den Teilnehmenden wird einer kontinuierlichen Verbesserungsprozesses fördern, so dass EIL immer am Nabel der Zeit Ist. Der Referentinnen und Referenten wünsche ich, dass sie sich genauso wie wir für diese interessante Veranstaltung begeistern können und viel Freude daran haben.
Gerade in dieser doch sehr herausfordernden Zeit ist EIL wichtiger denn je. Optimierung und Change Management ist in den Krankenhäusern zum Dauerthema geworden. Natürlich lässt sich alles an Beraterfirmen outsourcen, aber dann ist die Mitarbeiterschaft nicht eingebunden und es kommt zu Umsetzungsproblemen. Change geschieht am besten mit und durch die eigenen Mitarbeiterschaft. Die Krankenhäuser brauchen Hilfe zur Selbsthilfe. Das vermittelt Expertise in Leadership.
Prof. Dr. Norbert Roeder ist ein renommierter Experte im Krankenhausmanagement und der Gesundheitsberatung. Aufgewachsen in Schleswig Holstein begann er nach einer Ausbildung zum Kaufmann und dem Medizinstudium an der Universität Kiel seine Karriere als Assistenzarzt in der Chirurgie. Von 2006 bis 2017 war er Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Universitätsklinikums Münster (UKM), wo er maßgeblich zur positiven Entwicklung des Klinikums beitrug. Seit 2017 ist er geschäftsführender Partner bei Roeder & Partner und berät Institutionen im Gesundheitswesen. Roeder ist ausgewiesener Experte in der Gesundheitsökonomie und strategischen Krankenhausplanung. In der Lehre war er an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster verantwortlich für das Querschnittsfach Gesundheitsökonomie, -system und öffenltiche Gesundheitspflege. Darüber hinaus leitet er die DRG-Research-Group, die sich mit der wissenschaftlichen Evaluation des G-DRG-Systems und der Krankenhausfinanzierung beschäftigt. 2025 erschienen die jüngsten Publikationen zur neuen Gesundheitsreform. Roeder ist auch heute noch beratend für verschiedenste Dachorganisationen und Ministerien des deutschen Gesundheitswesens tätig