Neue Studie: „Ich pflege wieder, wenn …“ sieht ungenutztes Potenzial von 300.000 Pflegenden

Neue Studie: „Ich pflege wieder, wenn …“ sieht ungenutztes Potenzial von 300.000 Pflegenden

Zu welchen Bedingungen sind ehemalige Krankenpfleger*innen bereit, in den Pflegeberuf zurückzukehren oder von einer Teilzeit auf eine Vollzeitstelle zu wechseln? Die Studie „Ich pflege wieder …“, an der sich im Herbst 2021 bundesweit 12.684 Menschen beteiligt haben und deren Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden, will es wissen: Die Studienbeauftragten gehen von mindestens 300.000 Vollzeit-Pflegekräften in Deutschland aus, die durch Rückkehr in den Beruf oder Aufstockung der Arbeitszeit zusätzlich zur Verfügung stünden – sofern sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich verbessern. Gewünscht würde sich eine stärkere Personaldecke und verlässliche Arbeitszeiten.

 „Das ist eine sehr gute Nachricht für die Pflege – doch diese Fachkräfte kommen nicht von allein zurück“, sagt Elke Heyduck in der Pressekonferenz über die Studienergebnisse. „Die Pflegebeschäftigten wissen sehr genau, was sich ändern muss, damit sie ihren verantwortungsvollen Beruf so ausüben können, wie es ihren fachlichen Vorstellungen und ihrer Ausbildung entspricht.“ 

Heyduck spricht von schlechten Arbeitsbedingungen, Überforderung, Unterbesetzung. Der in der Pflege herrschende Fachkräftemangel wird sich weiter zuspitzen – allein in den nächsten zehn bis zwölf Jahren gehen 500.000 Pflegefachkräfte in Rente. Derzeit dauert es aktuell 230 Tage, bis die Stelle einer Krankenpflegefachkraft besetzt werden kann, 210 Tage für die Stellenbesetzung einer Altenpflegefachkraft. „Es muss uns zeitnah gelingen, Pflegekräfte zu gewinnen. Das ist eine der größten sozialpolitischen Herausforderungen dieser Zeit“, mahnt Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Die Untersuchung hat auf Basis einer großen bundesweiten Befragung mehrere Modellrechnungen aufgemacht und das Potenzial für alle aufstockungswilligen Teilzeit-Pflegefachkräfte sowie erstmals auch für Beschäftigte in der Pflege hoch gerechnet, die ihrem Beruf in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben und sich eine Rückkehr vorstellen können. So ergibt sich ein rechnerisches Potenzial von 300.000 Pflegefachkräften in Vollzeit bei sehr vorsichtiger Kalkulation, in einem optimistischen Szenario sogar von bis zu 660.000 Vollzeitkräften. Mehr als 80 Prozent dieses Potenzials beruht auf der Rückkehr „ausgestiegener“ Fachkräfte.

Als stärkste Motivation nennen die Befragten eine Personaldecke, die sich tatsächlich am Bedarf der pflegebedürftigen Menschen ausrichtet. Außerdem wünschen sich Pflegekräfte eine bessere Bezahlung und verlässliche Arbeitszeiten. Mehr Zeit für menschliche Zuwendung zu haben, nicht unterbesetzt arbeiten zu müssen und verbindliche Dienstpläne sind für die Befragten weitere zentrale Bedingungen. Ebenso wünschen sie sich respektvolle Vorgesetzte, einen kollegialen Umgang mit allen Berufsgruppen, mehr Augenhöhe gegenüber den Ärztinnen und Ärzten, eine vereinfachte Dokumentation und eine bessere Vergütung von Fort- und Weiterbildungen.

An der Befragung haben sich im Herbst 2021 bundesweit 12.684 Menschen beteiligt, die entweder in Teilzeit in der Pflege tätig sind oder den Pflegeberuf verlassen haben. Der Frauenanteil betrug 82 Prozent („ausgestiegene“ Pflegekräfte) bzw. 87 Prozent (Teilzeitpflegekräfte). Etwa 25 Prozent der Befragten waren „ausgestiegene“ Pflegekräfte und 75 Prozent Teilzeitpflegekräfte. Zwei Drittel arbeiteten aktuell oder zuletzt in der Krankenpflege, ein Drittel in der Langzeitpflege.  Die Befragung wurde in Kooperation von Arbeitnehmerkammer Bremen, Arbeitskammer des Saarlandes und Institut Arbeit und Technik durchgeführt und von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet. Die Hans-Böckler-Stiftung hat die Studie gefördert.

Darüber hinaus hat die Befragung ermittelt, wie aktiv die „ausgestiegenen“ Pflegekräfte mit Blick auf eine mögliche Rückkehr sind: „Bereits ein Drittel der potenziellen Rückkehrerinnen und Rückkehrer haben Stellenangebote angesehen, knapp sechs Prozent stehen im Kontakt mit einem Arbeitgeber. Die übrigen denken mindestens einmal im Monat darüber nach, in den Beruf zurückzukehren, sind bislang aber noch nicht aktiv geworden“, erläutert Michaela Evans, Direktorin des Forschungsschwerpunktes Arbeit & Wandel am IAT.

Und wo wollen die befragten Ausgestiegenen arbeiten? Ausgestiegene geben überwiegend den ehemaligen Arbeitsbereich als gewünschten Bereich für einen Wiedereinstieg an. Dies gilt insbesondere für ehemals im Krankenhaus und in der Psychiatrie Beschäftigte. „Auffällig ist, dass ehemalige Beschäftigte aus den ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten ihren eigenen Bereich seltener als Wiedereinstiegsbereich angeben“, hat Michaela Evans beobachtet.

Was muss sich ändern in der Pflege?

An erster Stelle fordern die Initiator*innen die Einführung einer angemessenen, am tatsächlichen Pflegebedarf ausgerichteten Personalbemessung – für den Bereich der Krankenhäuser, für die stationäre und die ambulante Langzeitpflege. „Mit Sorge betrachten wir daher die Diskussion um die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0), auf die Pflegekräfte in den Krankenhäusern seit Jahren drängen und die – trotz Koalitionsvertrag – womöglich nicht eingeführt werden soll. Die Regelung darf als sehr gute Übergangslösung nicht unter die Räder kommen. Das wäre in der jetzigen Situation das absolut falsche Signal“, betont Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer des Saarlandes. „In der stationären Langzeitpflege muss die ‚Personalbedarfsmessung in vollstationären Pflegeeinrichtungen‘ (PeBeM) vollständig umgesetzt werden und es bedarf eines verbindlichen Zeitplanes dafür.“

Die Geschäftsführerinnen der Arbeitskammer des Saarlandes und der Arbeitnehmerkammer Bremen betonen auch die zentrale Forderung vieler Befragter nach einer ausreichenden Bezahlung: „Pflegekräfte müssen endlich entsprechend den hohen Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt, entlohnt werden – insbesondere in der Altenpflege“. Zudem müsse die Tarifbindung in der Pflege dringend gestärkt werden, um flächendeckend höhere Löhne zu erzielen. Dass Pflegeeinrichtungen zukünftig zur Versorgung nur noch zugelassen werden, wenn sie entweder nach Tarif oder zumindest nach dem regionalen Durchschnitt zahlen, sei eine gute, aber nur die zweitbeste Lösung, so Zeiger.

Bessere Finanzierungsmodelle für die häusliche Pflege und in Heimen

Jede Verbesserung in der Pflege ist abhängig von der Finanzierung. „Es kann nicht sein, dass die Eigenanteile der Pflegebedürftigen durch die Decke gehen, weil der Betrieb ausreichend Personal einstellt und die Pflegeversicherung diese Mehrkosten nicht abdeckt“, schildert Heyduck mögliche Folgen. Der Koalitionsvertrag sieht zunächst nur die Prüfung einer freiwilligen, paritätisch finanzierten Pflegevollversicherung vor. Mindestens dieser Prüfauftrag müsse nun umgesetzt werden. Mittelfristig gehörten jedoch sowohl die Pflege- als auch die Krankenversicherung auf stabilere Beine gestellt. An einer Bürgerversicherung, die auch Beamte und Selbstständige einbezieht, ginge auf Dauer kein Weg vorbei. Da sich die Koalition im Bund nicht auf eine Bürgerversicherung einigen konnte, sei mindestens ein Ausgleich nötig zwischen Privater und Gesetzlicher Krankenversicherung – und eine Deckelung der Eigenanteile in der stationären Pflege.

Details zur Studie: http://www.ich-pflege-wieder-wenn.de/