Macht mit den Patient:innen teilen! – Welchen Stellenwert haben die Betroffenen in der Gesundheitsversorgung?
Die Absolvent*innen des Mentoringprogrammes von B. Braun-Stiftung und Careumstiftung hatten Gelegenheit, Prof. Dr. Edgard Eeckmann aus dem Universitätskrankenhaus in Brüssel zum Thema Patient Empowerment zu hören. Wie gestaltet sich das Verhältnis Arzt/Ärztin - Patient*in, worauf kommt es an? Wie kann es gelingen, dass ein kranker Mensch auf Augenhöhe kommuniziert? Von Prof. Ursina Baumgartner
«Hand auf’s Herz» Welchen Stellenwert haben für Sie die Patient:innen in Ihrem Arbeitsalltag?
In der Präsentation anlässlich der Studienreise im Mentoringprogramm der B. Braun-Stiftung nach Brüssel fordert Edgard Eeckman am 24. September 2021 einen Paradigmawechsel von einer «patientenzentrierten» Gesundheitsversorgung hin zu «der Patient, die Patientin als Eigner:in der eigenen Gesundheit» zu respektieren. Es reicht nicht, wenn Health Professionals die Betroffenen ins Zentrum setzen – Patient:innen sollen auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung zu Beteiligten empowert werden.
Ausgangslage
Patient:innen machen auf drei Ebenen praktische Erfahrungen in der Gesundheitsversorgung:
- Medizinversorgung: Diagnose, Therapie, Technik etc.
- Betreuung durch Health Professionals: Kommunikation, Information, Beratung, Behandlung etc.
- Medizinische Dienstleistungen: Ausstattung der Gesundheitseinrichtungen, Verpflegung etc.
Dabei besteht seitens der Patient:innen eine asymmetrische Machtbalance mit einer Ressourcenabhängigkeit von den Health Professionals, die es zu reduzieren gilt. Die Betroffenen sind auf die Ressourcen der Professionals angewiesen, wie Information, Wissen, Zeit, Fähigkeiten, Zuwendung, Befähigung Diagnosen zu stellen, Therapien zu verordnen, Behandlungen auszuführen, Zeugnisse auszustellen. Die Health Professionals sind hingegen auch auf die Ressourcen der Patient:innen angewiesen, wie Informationen von ihren Symptomen und Erfahrungen, Zeit, Zuwendung, Begleichung der Kosten. Dieses Ungleichgewicht an Ressourcen kann häufig dazu führen, dass Patient:innen einen Kontrollverlust mit Hilflosigkeit erleben, die sie noch kränker machen. Der Kontrollverlust und das Abhängigkeitsgefühl können auch Widerstand, Wut oder Angst auslösen, welche eine Heilung beeinträchtigen können.
Ziel
«Patient Empowerment» zielt darauf ab, dem Patienten/der Patientin via geteilte Verantwortung die Kontrolle oder das Gefühl der Kontrolle über seine/ihre Gesundheit und Gesundheitsversorgung zu geben. Es ist wichtig, dass Patient:innen das höchstmögliche Gefühl der Kontrolle bekommen. Patienten-Empowerment kann zu einer höheren Therapietreue führen.
Eine selbstbestimmte Person übernimmt Verantwortung für ihre Gesundheit, tut dann, was sie kann, um gesund zu sein und zu bleiben. Es bedeutet, dass eine Person, die dennoch krank wird, Kontrolle oder ein Gefühl der Kontrolle über die Ressourcen hat, von denen sie abhängig wird. Der/die Patient:in bleibt dabei auf die Ressourcen der Health Professionals angewiesen. Diese Abhängigkeit kann auf folgende Arten reduziert werden.
Maßnahmen
Eine gesundheitsförderliche Haltung entwickeln: Health Professionals begegnen dem Gesundheitsverhalten der Patient:innen mit Respekt. Sie verhalten sich authentisch und zeigen aktives Interesse an deren Wissen und deren Interpretationen.
Die Kommunikation zielführend und partizipativ gestalten
Motivation fördern: Health Professionals fördern die Patient:innen bei der Einnahme einer aktiven Rolle in ihrem Gesundheitsprozess. Nicht alle Betroffenen wollen sich im selben Mass beteiligen. So gilt es sorgfältig einzuschätzen an welchem Punkt ein effektives Empowerment ansetzen soll. Einige möchten sich aktiv beteiligen, haben aber nicht ausreichende Fähigkeiten dazu. Andere benötigen zusätzliches Expertenwissen, da sie als chronische Patient:innen bereits viel Erfahrung mitbringen.
Gemeinsame Entscheidungsfindung ermöglichen: Health Professionals teilen ihr Wissen und ermöglichen den Patient:innen sich eine eigene Meinung zu bilden. Sie unterstützen bei der wissenschaftsbasierten Interpretation von Resultaten und erläutern die möglichen Reaktionen abgestimmt auf den Wissensstand. Sie beantworten Fragen in der Sprache der Patient:innen und bieten damit die Grundlage für die gemeinsame Entscheidungsfindung.
Health Literacy fördern: Health Professionals schätzen das Ausmaß der Gesundheitskompetenz ein und setzen ihre zur Verfügung stehende Zeit gezielt zur Unterstützung ein beim: a)Finden von relevanten Informationen u.a. im Netz, auf den Medikamentenbeipackzetteln, in Infobroschüren. b)Verstehen der selber gefundenen Informationen oder in den Gesundheitseinrichtungen erhaltenen Informationen. c)Beurteilen der Informationen anhand der kognitiven Fähigkeiten und Einstellungen d)Anwenden der erhaltenen Informationen zur Verbesserung der Prävention oder Therapietreue
Fazit
Laut Schaefer et al. (2016) führt eine tiefe Gesundheitskompetenz zu einem schlechteren subjektiven Gesundheitszustand, zu schlechteren Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten, zu häufigeren Arztkontakten und zu häufigerer Nutzung von Notfalleinrichtungen.
Selbstbestimmte Patient:innen tragen Verantwortung für ihre Gesundheit, indem sie durch Selbstmanagement und Selbstbehandlung eine aktive Rolle in ihrem Gesundheitsprozess.übernehmen.
Denn nicht krank zu werden ist natürlich der beste Weg, nicht von den Ressourcen der Health Professionals abhängig zu werden. Andererseits bedeutet es, dass es zielführend ist, wenn eine Person, die dennoch krank wird, Kontrolle oder ein Gefühl der Kontrolle über die Ressourcen hat, von denen sie abhängig wird. Health Professionals nehmen hier eine wichtige Schlüsselfunktion ein. Patient Empowerment soll neben dem beschriebenen Mikrolevel auch auf dem Meso- und Makrolevel erfolgen und benötigt aktive Unterstützung von der Betriebsleitung bis zur Bundesregierung um systemisch wirken zu können.
Transferbeispiele
Das Universitätsspital Brüssel veranstaltet Workshops mit Patient:innen und Angehörigen zur Verbesserung der Medizinischen Dienstleistungen. Geführte Diskussionen in Fokusgruppen und lockere gemeinsame Mahlzeiten ermöglichen ein vertiefteres Verständnis der gegenseitigen Wünsche und Erwartungen. Die Villa Samson in Brüssel wurde als Begegnungsstätte für kranke Kinder und auch Erwachsene mit Tieren konzipiert. Hier können z. B. Kinder des universitären Kindesspitals zwischen anspruchsvollen Therapien unbeschwerte Stunden in Begleitung mit Therapiehunden erleben.
Herr Müller mit Diabetes Typ I beteiligt sich an der Entwicklung und Verbesserung eines Programms, welches ihm mit technischen Hilfsmitteln ermöglicht, sein Management des Typ I Diabetes zeitnah zu optimieren. Seine Motivation ist eine gesunde Vorbereitung und Teilnahme an Marathon Mountainbike Trails trotz Diabetes. Sein Diabetesarzt ist Mitglied in seinem Unterstützungsteam und begleitet die Verbesserung der App.
Frau Muster entscheidet sich gegen eine Corona-Impfung. Gerade das Beispiel von Impfverweiger:innen zeigt wie die Macht der Betroffenen mit Widerstand, Wut oder Angst die Macht der Health Professionals in Frage stellen kann. Hier ist ein hohes Fingerspitzengefühl der Professionals gefragt. Es gilt mit einer sorgfältigen Kommunikation die Ressourcen der Betroffenen abzuholen, trotz Widerstand eine professionelle Haltung einzunehmen und einen gemeinsamen Nenner zu finden.
Autorin Prof. Dr. Ursina Baumgartner leitet das Mentoringprogramm, CAS FH Management in der Gesundheitswirtschaft, an der Careum Hochschule Gesundheit. Von 2010–2021 war die Pflegewissenschaftlerin Rektorin Lehre der Careum Hochschule Gesundheit, Teil der Kalaidos Fachhochschule. Ihre Schwerpunkte sind Bildungsentwicklung und -politik im Bereich Gesundheit und Pflege. Von 2002 bis 2009 leitete sie als Co-Schulleiterin die Pflegeschule Clara in Basel.
Kontakt: ursina.baumgartner@careum-hochschule.ch, Leiterin Mentoringprogramm bei der Careum Hochschule Gesundheit
Das Mentoringprogramm ist ein Förderprogramm der B. Braun-Stiftung und der Careum Stiftung für angehende Führungskräfte der Gesundheitsversorgung. Weitere Informationen:
für die Schweiz: Kalaidos-FH
für Deutschland: B. Braun-Stiftung
Quellen:
Eeckman, E. (2021). «Patient Empowerment». Präsentation anlässlich der Studienreise nach Brüssel, Mentoringprogramm 2020/2021, 24.09.2021
Eeckman E. et al. (2018) Power to the patient? Studying the balance of power between patient and GP in relation to Web health information. http://www.researchingcommunication.eu/SuSobook2018.pdf#page=186
https://www.edgardeeckman.be/nl/wat-is-patient-empowerment/
Schaeffer, D., Vogt, D., Berens, E. M. Hurrelmann, K. (2016). Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland – Ergebnisbericht. Universität Bielefeld.
https://patientempowerment.be/de-6-grote-voordelen-van-patient-empowerment/
https://researchportal.vub.be/en/publications/power-to-the-patient-studying-the-power-balance-between-patient-a