"Delir ist ein Horrortrip"

"Delir ist ein Horrortrip"

Die MENTAL-Studie "Mobilization in the evening to prevent and treat delirium" ist 2018 mit dem Förderpreis Delir-Management der Deutschen Gesellschaft für Intensivmedizin ausgezeichnet worden. Jetzt wurde die Studie veröffentlicht. Peter Nydahl im Interview.

Herr Nydahl, erste Ergebnisse der von der DIVI ausgezeichneten MENTAL-Studie wurden jetzt veröffentlicht. Können Sie das Ergebnis kurz zusammenfassen?

Wir haben diesen Preis als Team aus Pflegekräften, Medizinerinnen und Medizinern und Physiotherapeutinnen und -therapeuten gewonnen. Wir hatten die Idee, Intensivpatientinnen und -patienten abends zwischen 21.00 und 23.00 Uhr nochmal zu mobilisieren, um bei ihnen ein Delir zu vermeiden, bzw. zu lindern. Dies geschah anhand von Ein- und Ausschlusskriterien, randomisiert und mit Sicherheits- und Vorsichtskriterien. Die abendliche Mobilisierung sollte Patientinnen und Patienten re-orientieren, bot Gelegenheit für normale Tätigkeiten wie Zähneputzen, TV sehen oder einfach ein kurzes Gespräch. Bei Patientinnen und Patienten, die bereits ein Delir hatten, wollten wir schauen, ob sie nach der Mobilisierung besser und ohne Medikamente schlafen konnten. Wir haben die Studie in 3 Zentren, unter anderem auch in England, durchführen können. Im Ergebnis zeigte sich, dass wir die Dauer eines Delirs in der Mobilisierungsgruppe im Vergleich zu Kontrollgruppe, die nicht mobilisiert worden ist, um einen halben Tag verkürzen konnten, der Unterschied war aber statistisch nicht signifikant. Vor allem aber hatten in den ersten Tagen in der Mobilisierungsgruppe signifikant weniger Patientinnen und Patienten ein Delir als in der Kontrollgruppe. Eine abendliche Mobilisierung könnte also diese Menschen davor bewahren, delirant zu werden. Wenn dies bei fünf Patientinnen und Patienten gemacht wird, kann bei ein Delir vermieden werden. Das ist ein tolles Ergebnis!

Was hat Sie dazu bewogen, sich mit Delir zu beschäftigen? Was war Ihre Motivation?

Ein Delir ist zwar so etwas wie Kopfkino, aber meistens ein Horrortrip. Die Patientinnen und Patienten merken schon, dass etwas nicht stimmt, aber sie haben teilweise schlimme Halluzinationen, fühlen sich gefangen oder missbraucht und erleben das als sehr real. Manchem haben Schlafstörungen aus Angst vor diesen Träumen. Die harten Zahlen zeigen, dass ein Delir die Risiken für kognitive Beeinträchtigungen, die Lebenserwartung und auch die Rehabilitation deutlich verschlechtert. Medikamente können meistens nur die Symptome lindern, aber kein Delir verkürzen. Pflege und Physiotherapie, Maßnahmenbündel können hier sehr wirksam sein!

Wie könnten Ihre Ergebnisse konkret umgesetzt werden bzw. was könnte der nächste Schritt in der Umsetzung sein (bezogen auf andere Erkenntnisse)?

Mobilisieren, mobilisieren, mobilisieren! Nein, Mobilisierung hat auch Grenzen. Wir hatten auch ein paar Patientinnen und Patienten, die abends zu erschöpft waren und nur schlafen wollten und dies wurde natürlich respektiert. Es wurde niemand geweckt, um hinterher wieder zu schlafen und das sollte auch in der Praxis so geschehen. Es ist immer eine Abwägung, wer, wann, wie lange, wie intensiv mobilisiert werden kann und es kann ja auch eine Mobilisierung im Bett sein.

Ist geplant, das Thema noch einmal intensiver zu beleuchten oder gibt es weitere Ideen?

Ja, wir machen und planen gerade weitere Studien zum Thema Delir und beleuchten die Implementierung eines Delir-Managements, die Zusammenarbeit zwischen den Professionen, die Wirkung von Schulungsmaßnahmen und vieles mehr.

Auf welchem Niveau befindet sich Ihres Erachtens die Pflegeforschung in Deutschland? Ihre Studie war multiprofessionell richtig?

Das ist eine Fangfrage, oder? Vom qualitativen Aspekt her wird hier teilweise sehr gute Forschung gemacht, quantitativ könnten wir durchaus mehr machen, aber das liegt mitunter auch an den Strukturen und gesetzlichen Vorgaben, die in anderen Ländern bessere Startvoraussetzungen geben. Für den Intensivbereich kann ich sagen, dass wir mehr und mehr interprofessionelle Forschung machen. Davon profitiert die Studienplanung, -durchführung bis hin zu der Veröffentlichung sehr. Die Studien sind besser, wenn Medizinerinnen und Mediziner, Pflegende und auch Therapeutinnen und Therapeuten beteiligt sind. Highendstudien haben auch noch Vertrete*rinnen für die Patientinnen und Patienten an Bord. Da kommen wir vielleicht auch noch hin ...

Was braucht es Ihrer Meinung nach, um die Pflege mehr zu eigenen Forschungsarbeiten zu bewegen? Ist der Forschungsaufwand (wie  hoch war er eigentlich) gerechtfertigt? 

Meistens reichen einfach Neugier und Wissensdurst, vielleicht auch der Wille, die Situation und die Bedingungen zu verbessern. Aufwand, Forschung und auch praktischer Nutzen müssen dabei immer im Verhältnis stehen, ebenso die Kosten. Einen Preis auszuschreiben, kann neugierig machen. Bei dem Geld ist es gut, dass es Stiftungen gibt, die auch die Pflegeforschung unterstützen, wie zum Beispiel die B. Braun-Stiftung ;-) … ich habe da in dem Zusammenhang übrigens eine Idee ...

 

Korrespondenzadresse:
Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin 
Universitätsklinikum Schleswig Holstein, Kiel
E-Mail: Peter.Nydahl@uksh.de

(1) 
P. Nydahl et. al.:
Die MENTAL-Studie: Mobilization in the evening to prevent and treat delirium
Deutscher Ärzteverlag | DIVI | Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin | 2020; 11 (4)