Pflege kann Eigenverantwortung, Haltung zeigen und Doktor!

Pflege kann Eigenverantwortung, Haltung zeigen und Doktor!

Positive Impulse auf der 47. Fortbildung für Pflegende für 700 Teilnehmende vor Ort und 500 im Live-Stream: Der Kulturwandel in der Pflege ist in vollem Gange und er funktioniert mit mehr Eigenverantwortung, Haltung und Interprofessionalität.

Pflege kann auch Doktor

Was passiert, wenn eine Pflegekraft mit Doktortitel am Bett der Patient*innen stehen? PD Dr. Peter Nydahl weiß die Antwort, sie wird meistens für den Arzt oder die Ärztin gehalten, weil mit dem Doktortitel im medizinischen Bereich noch immer Arzt oder Ärztin assoziiert werden. Doch auch die Pflege kann Doktor und sogar Privat Dozent! Das zeigt PD Dr. Peter Nydahl von der UKSH Kiel eindrücklich. Nydahl hat sich mit Mitte 50 dazu entschieden, in seinem Pflegeberuf zu promovieren und danach noch zu habilitieren. Genau das sei der Kulturwandel in der Pflege, so Nydahl und plädiert dafür die promovierte Pflege am Bett selbstverständlicher zu machen. Von „alle können alles“, wie er es noch beim DRK gelernt hat, über Spezialisierungen für verschiedene Fachbereiche bis hin zum Doktortitel. Sich diesem Kulturwandel zu öffnen und etwas aus sich zu machen und den eigenen Weg zu finden, dazu ermutigt Nydahl alle Pflegefachkräfte und vor allem die Auszubildenden. Denn „Alter und ein schlechtes Abi, seien keine Hindernisse für eine akademische Karriere in der Pflege“, so Nydahl. Heute ist er Pflegeforscher, betreut Studierende der Pflege und erhebt Forschungsdaten im Pflegealltag.

Nydahl setzt sich vor allem für die Patient*innen-Zentrierung ein. Aktuell ist von Nydahl et.al. die Leitlinie „Family-Centered Care for Adult ICUs“ veröffentlicht worden, in der internationale Standards für die familienzentrierte Intensivversorgung gesetzt werden und die jetzt auch in Deutschland ‚ans Bett‘ gebracht werden sollen. Wie Angehörige auf der Intensivstation mit eingebunden werden können, welche Anreize es für die Frühmobilisierung gibt etc. stellt Peter Nydahl als Open Access zur Verfügung. Das heißt jede Einrichtung kann sich die Informationsmaterialien kostenlos downloaden. 

Nurse-Led-Unit (NLU): Pflege übernimmt mehr Verantwortung

Dr. Witiko Nickel vom Klinikum Bremerhaven hat auf der Fortbildung für Pflegende die Nurse-Led-Unit vorgestellt, die seit September 2025 in Bremerhaven betrieben wird. Die Idee der NLU ist nicht neu. Sie sei geeignet für Patient*innen, die eher wenig medizinische Unterstützung bräuchten, aber  einen erhöhten Pflegebedarf hätten. In Großbritannien bspw. gibt es schon lange sog. „Nurse and Development Units“. Die Differenzierung erfolgt somit nach dem Umfang der pflegerischen Unterstützung und der voraussichtlichen Verweildauer. Dadurch werde laut Nickel auch eine Kontinuität der Bildungsstruktur der Mitarbeiter*innen eines Teams gewährleistet. Wichtig dabei sei, dass die Pflegekräfte entscheiden, welche Patient*innen auf die NLU kommen können. Das ärztliche Personal könne auf der NLU eingebunden werden, sei aber nicht zwingend notwendig. Die Pflege übernimmt auf dieser Station im Grunde genommen die ärztlich deligierbaren Tätigkeiten im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, wie auf anderen Stationen auch.

Besonders ist es, dass das NLU-Team die Patient*innen sowie deren Angehörige 14 Tage nach der Entlassung noch einmal anruft und sich erkundigt, wie es ihnen mit der Überleitung ergangen ist. Darauf ist Nickel besonders stolz. Wichtig sei, dass die Pflege auch mehr Verantwortung übernimmt, wenn sie mehr Verantwortung will. Denn „um morgen Verantwortung zu übernehmen, müssen wir heute schon zeigen, dass wir Verantwortung übernehmen können,“ so Nickel.

Krankenhausstrukturreform als Weihnachtsgeschichte

Arne Evers verpackt das komplexe Thema der Krankenhausstrukturreform in eine anschauliche Weihnachtsgeschichte in der das Krankenhaus zum „Haus des Nikolaus“ wird. Mit dieser Metapher erklärt er verständlich, dass Leistungsgruppen festlegen, welche Leistungen ein Krankenhaus erbringen darf und welche nicht. Diese Gruppen sind wiederum an Qualitätsanforderungen gekoppelt, die vom Medizinischen Dienst überprüft werden. Doch Evers warnt: Wenn die Pflege in den Leistungsgruppen nicht berücksichtigt wird, droht ein Qualitätsverlust im Krankenhaus. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf die Versorgung, sondern auch auf die Wertigkeit des Pflegeberufs, die dadurch sinken könnte.

Das neue Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege (BEEP), früher das Pflegekompetenzgesetz, bringt jedoch Hoffnung, so Evers. Denn dieses BEEP Gesetz besagt, dass ein Katalog an Leistungen erstellt werden soll, in dem festgelegt wird, welche Leistungen die Pflegefachpersonen eigenverantwortlich durchführen können. Das bedeutet: mit der kompletten Verantwortung und Haftung. Und das sei laut Evers auch gut so, „denn wenn eine Wundversorgung von der Pflegekraft selbstständig übernommen wird, sollte diese auch im Zweifelsfall in der Rechtsverantwortung sein“. Das führt auch zu einer Aufwertung des Pflegeberufes, so Evers weiter. Neu sei in diesem Zusammenhang auch, dass die sog. Maßgeblichen Organisationen in der Pflege (MOPs) jetzt an den politischen Sachverhalten aktiv mitwirken und mit entscheiden müssen. Das heißt: „Ohne Pflege, gibt es keine Vereinbarung!“ Das stärke die Rolle des Deutschen Pflegerates und die Profession der Pflege. Dafür müsste man sich allerdings auch in Berufsverbänden organisieren. Beginnen könnte man auch erstmal damit, sich über Newsletter und Fachzeitschriften zu informieren, so Evers.

HIPSTA: Innovation trifft Praxis

„Es kann nicht sein, dass sich Zeit für sechs unterschiedliche Anamnesen durch verschiedene Professionen genommen werde, die aber nicht zusammengeführt werden“, so Birgit Trierweiler-Hauke von der Universitätsklinik Heidelberg. Um das zu ändern, hat sie 2017 am Universitätsklinikum Heidelberg eine interprofessionelle Ausbildungsstation (HIPSTA) nach dem Stockholmer Vorbild der IPSTA etabliert. Auf dieser kommen vier Auszubildende der Gesundheits- und Krankenpflege, vier Medizin Student*innen im PJ, die Auszubildenden der Physiotherapie und die Pharmaziestudierenden zusammen. Das Team versorgt acht Patient*innen auf einer Untereinheit der Hauptstation. „Jeder erfährt jederzeit, dass nicht einer alles weiß. Sondern, dass sich alle gegenseitig brauchen“, so Trierweiler-Hauke. Das bedeutet auch, dass man sich trauen muss, Fragen zu stellen. Das sei ein sehr intensives Lernen. Äußerlich tragen alle einen Kasack, sodass es keine Kleiderhierachien gibt. Pflegende werden bei den interprofessionellen Visiten in den Vordergrund gestellt. 

Mittlerweile gibt es 25 Kliniken in Deutschland, in denen eine solche Station aufgebaut wurde. PJ-ler und Pflegefachkräfte haben Positionspapiere geschrieben, in denen diese Strukturen festgehalten werden und eingefordert, dass sie das Konzept haben wollen. Deshalb appelliert Trierweiler-Hauke an die Auszubildenden auf der Fobi, dass auch sie für sich einstehen müssen. „Die Auszubildenden auf der HIPSTA Station erwerben mehr Wissen und Fähigkeiten und haben mehr Spaß an der Arbeit“, so Trierweiler-Hauke. Außerdem entstehe gegenseitiger Respekt unter den Professionen. Auch die Patient*innen profitierten davon. So sei die mittlere Dauer des KH-Aufenthaltes auf der HIPSTA Station signifikant kürzer und es käme weniger zu erneuten Einweisungen. 

Fokussierung mit der inneren Taschenlampe

Die Aufmerksamkeit als innere Taschenlampe verstehen und dahin leuchten, was funktioniert, was möglich ist und nicht auf das, was schlecht ist. Dafür plädiert Vera Starker. Denn unsere Energie folgt immer unserer Aufmerksamkeit und ein positiver Fokus ermöglicht erst unser Selbstwirksamkeitserleben. Besonders in Krisenzeiten sei es essenziell, dass man sich auf das Positive fokussiert und ein gutes Zukunftsbild kreiert. Aufgrund der Spiegelneuronen und dem Überschuss an „Negativrezeptoren“ im Gehirn, sind Stress und Jammern ansteckend. Das heißt, wenn man ständig nur von schlechten Nachrichten und Krisen umgeben ist, steigt man auch irgendwann in den Jammer oder Krisenmodus mit ein. Das laufe laut Starker darauf hinaus, dass keine Kapazitäten für ein klares Denken mehr frei sind und schließlich auch die Empathiefähigkeit eingeschränkt ist. „Der Dauerkrisenmodus führt in die Polarisierung und in die Meinungsbildung, über die wir uns stabilisieren. Wir halten die Meinungen anderer nicht mehr aus bzw. können dann nicht mehr zustimmen, weil wir dadurch ein Stück unserer Stabilität aufgeben würden“ so Starker weiter. Das führe sowohl zum Konflikt im Team als auch mit den Patient*innen und schließlich irgendwann in die Ohnmacht.

Immunschutz für die eigene Seele

Deshalb sei es wichtig auf sich selbst zu achten, zuversichtlich zu sein, sich selbst zu fragen: „wie geht es mir und wie oft lasse ich mich von meinem jammernden Umfeld anstecken?“ „Wo liegt meine Aufmerksamkeit - auf dem Positiven oder auf dem Negativen?“ Zuversicht brauche allerdings Verbündete, so Starke, und ruft dazu auf, sich Menschen zu suchen, die zusammen den Weg in eine positivere Denkweise gehen wolle und die Taschenlampe auf das, was gelingt, richten. „Gebt einander klare soziale Regeln im Team, damit es ein ‚Wir‘ gibt, so Starker.

„So reden wir hier nicht miteinander“

Dr. Sidra Khan-Gökkaya ist Diskriminierungsbeauftrage am UKE Hamburg und plädiert dafür, dass der Umgang mit Vielfalt und Diskriminierung eine professionelle Kompetenz in der Pflegeausbildung oder dem Pflegestudium werden muss. Sie ermutigt dazu, sich in der Selbstreflexion einmal zu fragen, in welchen Situationen man vielleicht unbewusste Denkmuster der Diskriminierung übernimmt und anwendet. Dazu zählen Rassismus, Sexismus, Körpergewicht, oder auch körperliche oder kognitive Einschränkungen. Unbewusste Vorurteile können bspw. Karrierechancen beeinflussen. Deshalb sollten Teamstrukturen hinterfragt werden: wer bekommt eigentlich welche Dienste zugeteilt, wer darf eine Fortbildung besuchen etc. Die Bereitschaft zur Offenheit für das Thema, zum Lernen und neues Wissen darüber zu erwerben sind wichtige Schritte zu einer gelebten Vielfalt im Pflegealltag. Zur Selbstreflexion gehört in diesem Zusammenhang auch, sich die Fragen zu stellen: „Wie möchte ich als Fachkraft der Vielfalt in unserer Gesellschaft gerecht werden?“ und „Was hilft mir und meinem Team, um auch produktiv und professionell mit den Herausforderungen umzugehen?“

"Wo kommen Sie denn eigentlich her?“

Im beruflichen Kontext haben Pflegekräfte mit Migrationshintergrund häufig damit zu tun, sich täglich für ihre Identität zu rechtfertigen. Das ist belastend und führt zu einem weiteren Stressfaktor sowie zur Verminderung der Selbstwirksamkeit. Für Dritte, die Zeuge von Alltagsrassismus werden, bedeutet das: Haltung zeigen und für jemanden anderen einstehen!  Einfache Fragen wie „Was meinst du damit?“ oder „Meinst du, dass das Verhalten der Person etwas mit ihrem Herkunftsland zu tun hat?“ reichen meist für den Anfang aus, so Khan-Gökkaya. Die Funktion dieser Fragen ist, dass man das Subtile herauslockt. Außerdem sollte in der Organisation kommuniziert werden, welche strategischen Wege es intern gibt, um derartige Vorfälle zu melden und Diskriminierung abzubauen. Hilfreich sei dabei auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Arbeitgeber*innen dazu verpflichtet Arbeitnehmer*innen vor Diskriminierung zu schützen.

Haltung einnehmen

Stephanie Schäfer sorgte mit ihrem Thema Kinaesthetics für Bewegung auf der Fortbildung für Pflegende, indem sie die Teilnehmer*innen dazu animierte sich mit der Sitznachbar*in zusammen zu tun und sich gegenseitig beim Aufstehen zu helfen. Das Augenmerk sollte darauf liegen, welche Haltung die helfende Person zur schwachen Person einnimmt und wie sich die schwache Person damit fühlt, geholfen zu bekommen. „Wenn wir anderen helfen, reflektieren wir oft nicht, wie wir das machen und ob das immer angemessen ist, was wir da tun“, so Schäfer. Die Art des Unterstützungsangebots hat Auswirkungen auf das Verhalten von Patient*innen. So kann Zeitdruck dazu führen, dass die Bereitschaft aus dem Bett aufzustehen, verweigert wird. 

Wenn die Mobilität gefördert wird, wird auch das Erleben von Autonomie gefördert. Kinaesthetics verbindet Mobilität mit einer achtsamen und professionellen Haltung, indem Handeln bewusst wahrgenommen wird, Handlungen reflektiert und gemeinsame Interaktion gestaltet wird. Haltung versteht Schäfer hier im doppelten Sinn: "Wie bewege ich mich mit und mit welcher inneren Haltung begegne ich den Patient*innen“. Wichtig sei auch, sich in die Lage der Patient*innen zu versetzen und zu schauen, was der oder die Patient*in einem bietet, um bei der Mobilisierung selbst mitzuhelfen. Schäfer plädiert dafür, dass Kinaesthetics überall im Pflegealltag integriert werden soll, sodass Pflegehandlungen reflektiert durchgeführt werden.

Die nächste Fortbildung für Pflegende findet am 03. November 2026 in Kassel und im Livestream statt. Abonnieren Sie den Newsletter der B. Braun-Stiftung und folgen Sie ihr auf LinkedIn und Instagram, damit Sie keine Neuigkeiten verpassen. Zu der Startup Session lesen Sie bitte folgenden Artikel: Startups präsentierten ihre digitalen Lösungen bei der 47. Fortbildung für Pflegende